Gelassenheit
1. Aber wie kann man gelassener werden?
Die Philosophen sprechen davon, wie vergleichsweise entspannt man sein könnte, wenn man Hoffnungen entbehrt.
Die Trugbilder unserer Vorstellungskraft verführen uns zu allen möglichen Emotionen, Folgegedanken und Handlungen, die uns immer tiefer in ein Netzwerk unentwirrbarer Fäden verwickeln, einem Drama, das uns zwar manchmal unterhält, aber zu anderen Zeiten einem Mahlstrom unterwirft.
Wir wünschen uns Kontrolle über unser Leben und seine Unwägbarkeiten. Wir sammeln Wissen, Fähigkeiten und entwickeln Technologien, um die chaotischen Brüche in unseren Erzählungen ertragbar zu machen und zu minimieren.
Die gesamte Gesellschaft basiert auf einem System von Absicherungen, die das Wahrscheinliche unwahrscheinlich und das Unmögliche möglich machen. Der Bruch und die Leerstelle werden gebannt.
Dabei rufen wir nach Wind und ernten Sturm. Die Angst treibt uns dazu, Dinge zu tun, die wir als problematisch ansehen oder sogar verachten. Wir akzeptieren diese als notwendige Übel.
Und ist es nicht Weisheit, auch die dunklen Seiten des Lebens zu akzeptíeren.
Darum haben wir ein System aufgebaut, das einerseits auf rationalen Regeln steht, andererseits dem Einzelnen genügend Freiraum zu seiner Entfaltung einräumt.
Dem Einzelnen und seinen Einrichtungen und Maschinen.
Doch Angst wovor? Vor dem Tod?
Wenn wir sterben, sind wir entweder weg oder unser Bewusstsein soll noch in irgendeiner Form fortleben.
Wir wissen es nicht.
Sollen wir den Weltraum besiedeln? Und dann soll die Menschheit wieder Kriege führen gegen sich selbst?
Wir wollen hoch hinaus – gewinnen. Erfolg. Genuss. Haben Sehnsucht nach Glück oder wollen zumindest dieser Leere entfliehen, der Sinnlosigkeit.
Wir sind froh, wenn wir etwas finden, für das wir uns interessieren, oder wenn wir immerhin nicht weiter auffallen. Oder wir wollen gerade auffallen, wenn es uns recht kommt.
Wir wollen nicht allein sein. Aber in Gesellschaft fühlen wir uns beklommen und eingeschränkt.
Niemand kann uns helfen.
Unsere Gedanken verfolgen uns überall hin, treiben uns zum Wahnsinn oder belasten uns mit Schwermut und Depression.
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In der modernen Gesellschaft scheinen die Individuen reduziert zu sein auf die Signifikanz von Insekten. Jeder Einzelne spezialisiert sich, wenn er überhaupt gebraucht wird, auf kleine und kleinste Teiltätigkeiten. Ist es so, dass je mehr Menschen es gibt, desto geringer die Bedeutsamkeit des Einzelnen?
In der modernen Gesellschaft sind alle vernunftbezogenen Regulierungen und Aktivitäten auf die Funktionsfähigkeit der Systeme ausgerichtet.
Die Hyperrationalisierung unserer Arbeits-, Lebens-, Alltags- und Freizeit-
zusammenhänge war in dieser Radikalität der Stoff vieler Alpträume und Wunschträume in der Vergangenheit.
(Diese Aussagen gelten natürlich in erster Linie für die westlichen Leit/d/kulturen und ihre Derivate)
Die gesellschaftlichen Kalibrierungen und narrativen Konstruktionen werden erzeugt und entstehen
auf der Basis des erfolgreichen interessegeleiteten, ökonomischen Rationalismus. Dieser birgt eine gewisse Anpassungs- und Lernfähigkeit, und scheint die bisher überlegene, relativ minder destruktive narrative und analytische Schablone gesellschaftlicher Fortschreibung zu sein.
Allerdings ist auch dieses Mahl nicht umsonst zu haben.
Allein war sie im Zuge radikaler sozialer Umbrüche, Reformen und Entwicklungen die erfolgreichste und attraktivste Ideenlehre.
Da wir aber nicht im Besitz eines archimedischen Punktes sind, oder wenn wir es sind, uns nicht eindeutig darüber klarwerden können, oder erst in der Zukunft es vielleicht klar wird, inwieweit wir uns über die Zusammenhänge klar waren.
Darum können wir auch nicht ernsthaft behaupten, dass der Erfolg auf Erkenntnis und Kompetenz beruht, anstatt auf Zufall und Korruption – oder umgekehrt. Oder auf Evokation, Ritualen, Maschinenintelligenz, wasauchimmer.
Andererseits ist auch nicht abzusehen, ob die soziale Funktionalibilität ohne diese Fiktion aufrechterhalten werden kann. In gewisser Hinsicht behaupten wir, dass jede Berechnung eine singuläre Evokation darstellt, bzw. sprechen diese Wahrheit aus. Ohne dass sich zeigen ließe, ob oder warum es sich um eine Wahrheit handelt.
Ohne den zynischen Glauben an die Beherrschbarkeit der Welt, eine zumindest minimale Sinnhaftigkeit der Zusammenhänge, an die Zusammenhaftigkeit der Zusammenhaftigkeiten, bräche das regulatorische Gefüge unserer Welt zusammen.
Nun, akzeptabel für manche scheint das.
Arbeitsteilung beruht auf Diversifikation und teilweise Selbstorganisation des Systems auf der Basis von begrenztem Eigeninteresse, einer Ethik der Pflichterfüllung und sozialem Druck durch Kreditschöpfung und Spekulation.
Die Sollbruchstellen und Schwarzen Löcher des Systems können nur durch eine eigene Schattenökonomie reziproker Verausgabung ausgeglichen werden.
Die technologische und sozio-kognitive Entwicklung löst nicht die grundlegende Opazität der Existenz auf, sondern verschachtelt und verwirrt die Systemkomplexe noch weiter.
Die konstitutiven Paradoxe des bewussten Lebens lassen sich nicht restlos aufklären, da die unmittelbare Kontraktion aller Sinnzusammenhänge zur Folge haben – gegeben, das die Gesellschaft nur ein Simulationsprojekt externer Intelligenzen ist.
Auch bei einer Freiständigkeit der Gesellschaft würde eine restlose Aufklärung den sofortigen Zusammenbruch aller Kommunikationskanäle zur Folge haben.
Nun, einige Anarchisten und Marktradikale wünschen sich vielleicht nichts lieber als das..
Allerdings ist nicht klar, welche bugs sonst noch im System sitzen und etwaige Notstromfunktionalitäten vorhalten würden.